Was lässt Ehe gelingen?

Eine Aufzählung der wichtigsten Bereiche des Zusammenlebens von Mann und Frau, in denen gelungene Ehe erlebbar, aber auch sichtbar wird.

Die Ehe als partnerschaftlicher Bund ist das neue Leitbild für Partner, die liebevolle Gemeinsamkeit auf Dauer mit Respekt vor der Persönlichkeit des Einzelnen verbinden. Dieses seit den 60er-/70er Jahren von der Gesellschaft, aber auch von der Kirche (II. Vatikanisches Konzil) der bürgerlich patriarchalischen Ehe gegenübergestellte Ehemodell birgt am ehesten die Chance, dass Ehe in der heutigen Zeit gelingen kann; wenn Mann und Frau in ebenbürtiger Weise miteinander leben, so dass einerseits gemeinsames Wachstum der Partner möglich wird und andererseits jeder sein eigenes Leben zur Entfaltung bringen kann. Aus der Erfahrung von über zwanzig Jahren Ehe- und Familienberatung und der Erwachsenenbildung stelle ich fest, dass dies nur dann möglich ist, wenn beiden Partnern die Arbeit an ihrer Beziehung ein ständiges Anliegen wird und sich jeder wenigstens zu 50 Prozent dafür verantwortlich fühlt.

Sehnsüchte und Wünsche der Menschen

Die Sehnsucht des Menschen, in geglückten Beziehungen zu leben, ist groß. Da besonders in der heutigen Zeit die Außenwelt auch vieler Verheirateter gefährdet und unsicher geworden ist, werden oft genug zu hohe Erwartungen an die Innenwelt, also den persönlichen Bereich der Partner, gestellt. Die tief sitzenden Wünsche von jenen, die in einer Ehe leben und denen die Dauerhaftigkeit ihrer Liebe ein Wert ist, lauten ungefähr wie folgt:

• Ich möchte von dir angenommen sein, so wie ich bin.

            Mit meinen Schwächen und Fehlern, aber auch mit meinen Fähigkeiten.

• Ich möchte mich bei dir geborgen fühlen.

            Dieses Bewusstsein soll wachsen, je länger wir miteinander leben.

• Ich möchte dich verstehen und wünsche mir, dass auch du mich verstehst.

            Unsere Gespräche sollen gelingen und uns einander näher bringen.

• Ich wünsche mir dein Vertrauen.

            Die Angst vor Verletzungen soll uns nicht stumm machen.

• Ich möchte, dass du meine Gegenwart hautnah ersehnst.

             Erotik und Sexualität sollen ein angemessener Ausdruck unserer Liebe
             sein.

Alle diese Sehnsüchte, die zu den Ursehnsüchten der Menschen gehören, finden in der Ehe nur dann Erfüllung, wenn es den Eheleuten gelingt, ihre Hoffnungen und Träume auf ein realistisches Maß an Erwartungen zu beschränken und wenn sie bereit sind, Kraft und Energie einzusetzen. Im Anfangs-Liebeserlebnis, in der Phase der Verliebtheit, leuchtet, fast ohne unser Zutun, als Geschenk und Gnade, diese Ahnung der Liebe auf. Die Verliebtheit ist gleichsam die künstlerische Intuition, in der die Vollgestalt des Kunstwerks zwar erkennbar wird, aber noch nicht Realität ist. Konkret wird die Liebe erst durch oft mühevolle Arbeit, Durchhaltevermögen, Verzeihen, Frustrationstoleranz und Verantwortungsgefühl. Die gelungene Ehe ist also auch ein nüchterner Lernprozess durch Versuch und Irrtum, durch Erfolg und Misserfolg, von einem nicht müde werdenden Paar, das bereit ist, sich diesem Lernprozess immer wieder zu unterwerfen. Im täglichen Üben machen sich die Partner offen und bereit dafür, dass Liebe zum Ereignis zwischen ihnen werden kann. Die Liebe bleibt ein Geschenk, aber wenn Mann und Frau sie nicht treu und geduldig pflegen, werden sie nicht sensibel genug, dieses Geschenk zu empfangen. Echte Liebe heißt, auch die Bereitschaft aufzubringen, den anderen so zu sehen, wie Gott ihn gemeint hat.

Wie könnte nun ein »Trainingsprogramm« ausschauen, damit Ehe gelingt? Mindestens fünf Bereiche – die alle gleichwertig sind – gilt es zu beachten:

  • Ehe als dynamischer Prozess
  • Gespräch
  • Konfliktregelung
  • Nähe und Distanz
  • Erotik und Sexualität

1. Ehe als dynamischer Prozess

Die Inhalte von Ehen sind nicht in jeder Phase gleich. Die junge Ehe ist etwas anderes als die mittlere oder die alte Ehe. Veränderungen am Partner, äußere und innere, werden vom jungen Menschen kaum wahrgenommen oder jedenfalls toleriert. Die Flexibilität des Jüngeren lässt es auch leichter zu, sich auf die vollzogenen Veränderungen des Partners einzustellen. Beim älteren Menschen dagegen lassen sowohl Fähigkeit und Bereitschaft, sich selbst zu ändern, als auch sich auf die Veränderungen beim Partner einzustellen, mehr und mehr nach. Wenn Langeweile und Gewohnheit in einer Ehe auftauchen und die Paare in die Beratung kommen, können hier vom Berater Impulse gegeben werden. Einerseits wird versucht, den Beginn der langjährigen Gemeinschaft wieder erstehen zu lassen und die Erinnerung an das, was den einen für den anderen liebenswert gemacht hat. Andererseits werden in der Beratung Paare ermuntert, Dinge zu wagen, die ihnen bislang fremd waren; gleichsam auf Entdeckungsreise zu gehen und Neues in die langjährige Beziehung aufzunehmen, um sie lebendig zu halten. Nicht als Verordnung des Beraters – also von außen aufgesetzt –, sondern mit dem Paar gemeinsam wird behutsam ans Licht gehoben, was an verborgenen Wünschen vorhanden war. Zum Bespiel bietet die lange Ehe gute Gelegenheiten, allein sein zu können, ohne allein sein zu müssen. Um diese Chance zu nützen, ist es allerdings notwendig, mit einer gewissen Beweglichkeit alte Leitvorstellungen von Ehe zu überwinden oder mindestens zu relativieren. Früher dominierten Ideen von Nähe, totaler Zweisamkeit, Austausch, Einheit und Ausschließlichkeit besonders als Ideal der christlichen Ehe. Heute ist vielen Paaren klar, dass Ehe die Gemeinschaft von zwei verschiedenen Persönlichkeiten ist und diese Einzigartigkeit auch beibehalten werden soll. Es gilt zu entdecken, dass Alleinsein nicht dasselbe ist wie Vereinsamung, sondern geradezu Aufbaustoff für die Beziehung sein kann. Ich denke an ein Ehepaar, das ziemlich erleichtert hörte, dass seine Ehe keineswegs in einer Krise war, nur weil jeder von ihnen einmal allein eine Reise tun wollte. Der Mann hatte andere Wünsche als die Frau; er wollte in die Berge, sie eine Städtebesichtigung machen. Erst durch das Aussprechen in der Geborgenheit der Beratung konnten eingefahrene Geleise verlassen werden.

2. Gespräch

Zu Beginn der Ehe und in den ersten Jahren funktioniert in der Regel das Gespräch zwischen den Partnern. Die Bereitschaft, sich einander mitzuteilen, ist meist vorhanden, zudem möchte man über den Partner etwas wissen, ihn besser kennen lernen. Im Laufe der Jahre kann diese Gesprächsbereitschaft aber nicht immer aufrecht erhalten werden. Müdigkeit, aber auch Bequemlichkeit stehen im Wege. Mangelnde Zuhörfähigkeit und Aufmerksamkeit einerseits, gedankenlose Bemerkungen, die den Partner verletzen, andererseits, bringen die Eheleute zum Schweigen und lassen das Gespräch verstummen. Die ehemalige Hoffnung, sich dem Partner mitteilen zu können und sich verstanden zu fühlen, weicht der Resignation. Aus Angst, etwas Falsches zu sagen, wird immer weniger gesprochen.

Stummes Nebeneinander durch mangelnde Kommunikation

Wenn das Paar selbst die beginnende Stummheit nicht mehr überwinden kann, können Beratungsgespräche die Basis schaffen, dass in einer ruhigen Atmosphäre erlittene Verletzungen beider Partner verarbeitet und neue Erkenntnisse gewonnen werden, zum Beispiel, warum der Partner in einer bestimmten Situation – vielleicht aufgrund seiner Geschichte – so und nicht anders reagiert. Eine neue Form des Gesprächs kann gelernt werden. Immer wieder einmal gebe ich zwei Partnern etwa die Aufgabe, miteinander »Zwiegespräche« zu halten.

Die Grundordnung dieser Aufgabe beinhaltet ungefähr folgendes: »Zwiegespräche« brauchen wenigstens einmal in der Woche länger dauernde, ungestörte Zeit. Die Regelmäßigkeit ist das Geheimnis ihres Erfolges. Jeder spricht über das, was ihn bewegt, wie er sich, den anderen, das Leben und seine Beziehung erlebt. Er bleibt also bei sich. Das Gespräch hat kein anderes Thema. Es ist offen. Reden und Zuhören sollen möglichst gleich verteilt werden. Schweigen und Schweigen lassen, wenn es sich ergibt. Ausgeschlossen sind: bohrende Fragen, Drängen, Beschwichtigungsversuche. »Zwiegespräche« sind kein Offenbarungszwang. Jeder entscheidet für sich, was und wie viel er sagen mag. Beide lernen durch Erfahrung, dass größtmögliche Offenheit am weitesten führt. Sich wechselseitig einfühlsam zu machen, ist das erste Ziel dieser Gespräche, weitere Ziele ergeben sich von selbst. Sie wachsen mit der Entwicklung. In der darauf folgenden Beratungsstunde wird das vorangegangene »Zwiegespräch« besprochen. Wenn sich beide für diese Art der Gespräche verantwortlich fühlen, sorgen sie gleichzeitig für das Gelingen. Das Paar erlebt eine Evolution zu zweit: Wenn wir uns aufeinander einlassen, halten wir unsere Beziehung lebendig. Dabei ist es notwendig, die Grenzen des Partners zu achten und zu respektieren. Bei manchen länger dauernden Ehen wird sich die verbale Kommunikation möglicherweise auf ungefährliche Bereiche beschränken, Themen, die belastet sind, werden vielleicht ausgeklammert. Trotzdem wird ein freundschaftlicher Umgang wieder möglich. »Zwiegespräche« sind der Versuch, einander besser und auch nach Jahren wieder neu kennen zu lernen. Ein Partner versucht dem anderen zu zeigen, wie er sich selbst erlebt, indem er über sich redet. Streitgespräche und Partnerschaftsdebatten sind dagegen eher Zwie«spalt«gespräche und bringen die Partner einander nicht näher.

3. Konfliktregelung

Konflikte, Spannungen und Meinungsverschiedenheiten gehören zu jeder Partnerschaft. Sie machen die Beziehung lebendig und spiegeln etwas von der Dynamik wider, in der zwei Personen, die miteinander leben, drinnen stehen. Ungelöste Konflikte können die Ehe zum permanenten Kleinkrieg machen.

Konfliktregelung ist ein Lernprozess

Bei jungen Paaren können Verlassenheitsängste und die Angst vor Liebesentzug die Partner daran hindern, offen ihre auftauchenden Konflikte anzusprechen. In älteren Ehen kann durch die langjährige Erfahrung der Umgang mit menschenwürdiger Konfliktregelung gelernt sein. Wenn Ehepartner betonen, dass es bei ihnen keine Konflikte gibt, liegt der Verdacht nahe, dass ein Teil seine Meinung nicht sagt. Ein solcher Zustand ist nicht wünschenswert, weil er zur Unterdrückung der Persönlichkeit des einen führen kann. Sobald Paare nach mehreren Jahren gemeinsamen Lebens, also aus reiferer Sicht, aus größerer Lebenserfahrung, ihre Konfliktstoffe kennen und die Hintergründe des kränkenden Verhaltens entdecken, können sie den Partner besser verstehen. Dazu kann es auch nach langen, gemeinsamen Jahren immer noch hilfreich sein, die Traditionen der Herkunftsfamilie zu studieren, in der jeder Ehepartner sein eigenes Verhalten in Beziehungen gelernt hat. Die Einsicht, dass nicht alles Gelernte aus der Kindheit veränderbar ist, kann dazu führen, das Anderssein des Partners bewusst anzunehmen, auch dort, wo es sich um nicht liebenswürdige Charakterzüge des Partners handelt.

Beim Besprechen von Konflikten ist zu beachten:

  • Vorwurf und Kritik sind niemals aufbauend. Sie fordern höchstens die Verteidigung des Angegriffenen heraus.
  • Verallgemeinerungen sollten vermieden werden. Kein Mensch tut etwas »immer« oder »nie«.
  • Machtkämpfe neigen dazu, Konflikte zu zementieren. Jeder will seine Stärke demonstrieren und sich durchsetzen.
  • Es soll keinen Sieger, aber auch keinen Verlierer geben. Gegebenenfalls entstehen beim Verlierer Gefühle von Rache, die neue und subtilere Kämpfe provozieren.
  • Lasten sind möglichst gleichmäßig zu verteilen. Kompromisse ergeben ein Gefühl von Gerechtigkeit.
  • Die Regelung muss für beide akzeptabel sein. Unlösbares gilt es auszuhalten.

Akzeptieren der Andersartigkeit

Die Einsicht, dass es niemals zum Ziel führt, den anderen ändern zu wollen, bringt meist schon eine Veränderung der Situation. Der einzige Weg, besser zu leben, besteht darin, sich selbst zu ändern. Diese Erkenntnisse bewirken in manchen Beratungsgesprächen ein Aha-Erlebnis, das den Schritt in eine positive Richtung einleitet. Das Akzeptieren der Andersartigkeit des Partners macht es unnötig, für mache Dinge auf die Barrikaden zu klettern.

4. Nähe und Distanz

Während in den jungen Jahren durch vielfältige gesellschaftliche Kontakte – einzeln oder gemeinsam – der Alltag bunt und abwechslungsreich erscheint, ist das Paar mit Kindern und auch in der postfamiliären Phase mehr auf sich bezogen; die Partner sind aufeinander angewiesen.

Kinder sind kein Partnerersatz

In manchen Beratungsgesprächen stellt sich erst spät heraus, wie sehr Kinder zum Partnerersatz geworden sind. Die Frau geht auf im Muttersein und übersieht, dass gerade die familiäre Phase eine vorübergehende ist. Freilich denkt sie daran, dass es schön wäre, außer der Arbeit mit Kindern und Haushalt noch etwas anderes zu tun. Aber die Verantwortung, das Gefordertsein, lässt die eigene Persönlichkeit zurücktreten, die funktionstüchtige Frau und Mutter steht im Vordergrund. Eigene Interessen und Fähigkeiten kommen zu kurz. Ab und zu Kontakte zu anderen Frauen, Nachbarinnen, eventuell Frauengruppen, bilden die einzigen Kontakte nach außen. Wenn das Fehlen befriedigender gemeinsamer Kommunikation durch den Alltag verdeckt ist, wird erst in späteren Jahren deutlich, wie sehr sich das Paar auseinander gelebt hat.

Es gilt daher, neben allem familiären und beruflichen Engagement die Paarbeziehung nicht aus dem Auge zu verlieren, sondern sie ganz bewusst zu pflegen. Es ist notwendig, dass das Paar nicht nur in Elternpflichten aufgeht, sondern für die Beziehung als Mann und Frau Zeit und Aufmerksamkeit aufbringt.

Gemeinsamkeiten und Einzelinteressen

Die Ehe lebt von Gemeinsamkeiten. Gleichzeitig besteht jede Partnerschaft aus zwei voneinander verschiedenen Persönlichkeiten mit möglicherweise verschiedenen Interessen und Neigungen. Ehe kann also nicht totale Einheit von zwei Personen sein, die derart miteinander verschmelzen, dass sie sozusagen ineinander aufgehen und damit ihre individuelle Persönlichkeit aufgeben. Der gesunde Zustand einer Partnerschaft liegt im freien Nebeneinander von »Einssein« und »eigene Persönlichkeit bleiben«.

Was einen Menschen in der Phase der Partnerwahl am anderen angesprochen und begeistert hat, weil der andere ein Stück von dem leben konnte, was dem einen unmöglich erschien, sollte dem Partner bleiben, oder noch besser, sich weiter entwickeln dürfen. Im Idealfall könnten Partner diese Reifungsschritte gemeinsam vollziehen oder einander dabei sogar behilflich sein. Dabei sollte jeder von ihnen seine Eigenständigkeit bewahren, um so für den Partner anziehend und interessant zu bleiben. Gegenseitiges Wohlwollen ist eine Voraussetzung dafür, dass hier etwas entstehen oder wieder aufblühen kann. In dieser Form kann die länger dauernde Ehe eine neue Qualität und individuelle Balance von Freiheit und Gemeinsamkeit erhalten. Gespräch und Gedankenaustausch über einzeln Erlebtes kann zusätzlich zu einer Bereicherung der Zweierbeziehung führen. Einzelinteressen sind durchaus erlaubt und gutzuheißen, wenn sie nicht auf Kosten des anderen gehen und dadurch zu Kränkungen führen.

5. Erotik und Sexualität

Der Mensch ist in seiner Geschlechtlichkeit von seinem Schöpfer durch und durch geprägt. Als Mann und Frau hat jeder seine ihm eigene Sexualität sozusagen als Geschenk mit auf den Weg bekommen.

Sexualität als Liebesausdruck

Dass geglückte Sexualität – mit Lust und Verantwortung – im Sinne Jesu und von Gott gewollt ist, braucht auch in der Beratung immer wieder einmal eine Erklärung und lässt sich kreativ mit den biblischen Texten in Verbindung bringen. Beispiele: »Ich bin gekommen, damit ihr das Leben in Fülle habt« (Joh 10,10) oder das »Gleichnis von den Talenten« (Mt 25, 14-30). Gelebte Sexualität stellt also einen ganz besonderen Wert dar und bedarf in der Ehe einer lebenslangen Entwicklung. Verglichen mit anderen Kulturen, gibt es im europäischen Raum nur wenig Aufmerksamkeit für die liebevolle Entfaltung der sexuellen Begegnung zwischen Mann und Frau. Die überlieferte Sprachlosigkeit tut ein Übriges, so dass Frustrationen in diesem Bereich mit einer gewissen Resignation hingenommen werden, anstatt sie zu beachten und als Herausforderung für mehr Gespräch und Bemühen umeinander zu sehen. Die genitale Sexualität – die Verwirklichung der im Menschen angelegten Fruchtbarkeit – gilt meist unbewusst noch als Primärzweck der Ehe. Sosehr aber auch das Leben mit Kindern ein wunderbarer Auftrag am Mitwirken von Gottes Schöpfungsplan ist, es betrifft in der langdauernden Ehe nur eine kleinere Zeitspanne.

Kultur der Erotik

Es bedarf daher einer Kultur der Erotik, damit Sexualität zu einem Spiegel dafür wird, wie nonverbale Kommunikation gelingen kann. Erotisches Tun vermittelt unmittelbar das Worte. Der Mensch fühlt sich in seiner ganzen Person bejaht und angenommen. Damit wird die tiefste Sehnsucht des Menschen berührt.

Die Zärtlichkeit, die dann Ausdruck dieser umfassenden Liebe werden kann, begleitet das Paar ein ganzes Leben lang. Sie reicht weit über die zeugungsfähige Zeit hinaus und wird in einzelnen Bereichen gelebt.

  • Gefühle ausdrücken: Schon in der Herkunftsfamilie lernt der Mensch, ausführlich oder eher karg seine Gefühle auszudrücken und darüber zu reden.
  • Wünsche äußern: Der Ehepartner ist kein Hellseher und kann die Wünsche des anderen nicht erraten.
  • Bedürfnisse anmelden: Jeder Mensch ist einzigartig mit seinen individuellen Bedürfnissen und Sehnsüchten.

Die vertrauensvolle Liebesbeziehung zwischen zwei Menschen kann der geeignete Ort sein, Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse im sexuellen Bereich zu entdecken; der zärtliche Umgang miteinander eine ideale Nachholmöglichkeit von in der Kindheit Versäumtem. Nicht zuletzt gibt es Paare, die in ihrer gemeinsamen Sexualität auch eine spirituelle Dimension entdecken. In der Innigkeit der sexuellen Vereinigung kann Gottes Liebe zu uns Menschen erfahrbar werden.

Der Wille ist in allen Bereichen, in denen Beziehung gelebt wird, wichtig, daher auch in der Erotik. Zärtlichkeit soll nicht nur dann entstehen, wenn sie dem spontanen Impuls entspricht. Es braucht auch die bewusste Steuerung: Ich liebe dich, also schenke ich dir meine Zärtlichkeit bei vielen Gelegenheiten, nicht nur im Bett. Das ist Kultur der Erotik. Im Ausdenken von kleinen Aufmerksamkeiten ein Meister zu werden, bürgt für die Entfaltung des Talentes Sexualität und für die Qualität der Beziehung bis in hohe Alter.

Eine unverzichtbare Bedingung ist dabei die Echtheit der zärtlichen Gesten. Sie dürfen nicht als Mittel eingesetzt werden, um etwas zu erreichen, und nicht zum Leistungsdruck, sondern sollten eher in spielerischer Weise gelebt werden. Die Freude am Hautkontakt darf nicht fehlen; freundliche Blicke, gute Worte gehören ebenfalls dazu.

Erotische Kultur ist immer zweiseitig. Jedem Paar, das Dauerhaftigkeit in seiner Liebesbeziehung anstrebt, ist zu wünschen, dass es eine breite Palette an fantasievollen Zärtlichkeiten entdeckt, die ihm entsprechen. Gemeinsam auf Entdeckungsreise zu gehen, um die ganz persönliche Art zu finden, die beiden Partnern im erotischen/sexuellen Bereich entspricht, kann so das langfristige Ziel einer harmonischen Beziehung werden.

Wenn eine Frau und ein Mann derartig fasziniert voneinander sind, dass sie beschließen, eine Ehe einzugehen, haben sie fast immer die Erwartung, dass ihre Liebe auf Dauer gelingt. Diese Erfahrung habe ich in der Ehevorbereitung, bei der Arbeit mit Gruppen und in der Beratung gemacht.

Beziehungen, die in die Brüche gehen oder nicht mehr lebbar scheinen, hinterlassen bei allen Menschen zumindest Spuren von Trauer, wenn nicht gar existentielle Einbrüche. Trotz manchem Scheitern lässt sich in den letzten Jahren bei immer mehr Paaren feststellen, dass ihnen das Gelingen ihrer Ehe ein großes Anliegen ist. Die Teilnahme an verschiedenen Bildungsveranstaltungen ist ständig im Steigen begriffen. Wer die Hoffnung des Anfangs erfüllt sehen möchte, muss bereit sein, eine stetige Qualitätssteigerung der Beziehung anzustreben.

Liebe ist eine zarte Pflanze, die einer immerwährenden Pflege bedarf.

 Monika Kornfehl